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Dashcam-Urteil: Anlasslose Aufzeichnung als Beweismittel

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Vor gut einem Jahr entschied ein deutsches Gericht erstmals, dass Aufzeichnungen von Dashcams unter gewissen Voraussetzungen als Beweismittel im Strafprozess verwertet werden dürfen. Nun hat das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart nachgelegt und quasi jedem einen Freibrief erteilt, der schon einmal Hilfssheriff spielen wollte.

Sachverhalt

Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob die Verurteilung allein auf die Aufzeichnung der Dashcam eines Dritten gestützt werden konnte. Das Amtsgericht Reutlingen hatte den von der Aufzeichnung Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes verurteilt und dabei klar gestellt, dass ohne die Videoaufzeichnung eine Verurteilung nicht erfolgt wäre, da andere Beweismittel nicht ergiebig waren.

Der geahndeten Ordnungswidrigkeit war ein erster Rotlichtverstoß vorausgegangen, der jedoch nicht Gegenstand des Verfahrens war. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen bestätigte nun das OLG die Verwertbarkeit der Aufnahmen.

Bisherige Voraussetzungen

Bis hierhin überrascht die Ansicht des OLG nicht, waren doch Dashcam-Aufzeichnungen bereits seit einiger Zeit grundsätzlich in Strafprozessen verwendbar. Jedoch hing die Zulässigkeit als Beweismittel von den jeweiligen Umständen im Einzelfall ab. Die Verwertung war insbesondere dann möglich, wenn die Kamera für einen kurzen Zeitabschnitt aus konkretem Anlass betätigt wird.

Damals hatte das Opfer einer Nötigung im Straßenverkehr die Dashcam nach der ersten Nötigungshandlung eingeschaltet und weitere direkt darauf folgende Vorfälle aufgezeichnet. Das AG Nienburg führte dementsprechend aus:

„Verfolgt der Betreiber der Dashcam wie hier den zulässigen Zweck der Beweissicherung für den konkreten Haftungsfall, so bestehen gegen die Verwertung im Strafverfahren zumindest dann keine durchgreifenden Bedenken, wenn der Betreiber der Dashcam auch Verletzter einer vom Betroffenen verwirklichten Straftat sein könnte.“

Begründung des OLG

Im Gegensatz dazu lief die Kameraaufzeichnung bei der vorliegenden Entscheidung bereits seit Fahrtbeginn des Zeugen und anlasslos über seine gesamte Fahrtstrecke weiter. Außerdem wurde der Zeuge selbst nicht Opfer einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit. Die mit dem Betrieb der Dashcam verfolgten Zwecke wurden nicht ermittelt.

Trotzdem lässt das Oberlandesgericht die Verwertung der Aufnahme als (einziges) Beweismittel zu. Es spricht nach Ansicht des Gerichts zwar einiges dafür, dass die Aufnahme unter Verstoß gegen die einschlägige datenschutzrechtliche Bestimmung des § 6b BDSG erfolgt ist und damit einen unzulässigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen darstellt. Trotzdem führe eine Interessensabwägung dazu, dass kein Beweisverwertungsverbot vorliege:

1. Nicht unerheblicher Eingriff

Für den Betroffenen sei zu berücksichtigen, dass es sich um einen nicht unerheblichen Eingriff in seine Rechte handelte, da die Aufzeichnung verdeckt erfolgte, sie geeignet war, auch in das informationelle Selbstbestimmungsrecht einer unbestimmten, letztlich vom Zufall abhängigen Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer einzugreifen und es lediglich um die Ahndung einer Ordnungswidrigkeit und keine Straftat ging.

2. Hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung

Andererseits sei die hohe Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und das Gewicht des Verstoßes im Einzelfall (Rotlichtverstoß sehr deutlich über einer Sekunde) berücksichtigen.

„Die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs dient angesichts des hohen Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsverstößen dem Schutz von Rechtsgütern mit auch verfassungsrechtlich — ausreichendem Gewicht.“

3. Keine staatliche Veranlassung

Die Videoaufzeichnung sei weder durch den Staat veranlasst, um grundrechtliche Sicherungen planmäßig außer Acht zu lassen, noch wurde ein Privater gezielt mit der Fertigung beauftragt, um Beweise zu erlangen, deren sich der Staat durch die Verkehrsüberwachungsbehörden selbst nicht hätte bedienen dürfen.

Es handele bei der aufnehmenden Person insbesondere nicht um einen selbsternannten Hilfssheriff, da er weder wiederholt noch dauerhaft aus eigener Machtvollkommenheit zielgerichtet mittels Dashcam-Aufzeichnungen Daten erhoben habe.

4. Geringe Eingriffsintensität

Die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch die Videoaufzeichnung des fließenden Verkehrs sei sehr gering und betreffe insbesondere nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung.

Vielmehr setzte sich der Betroffene durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer wie auch der Kontrolle seines Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei- und die Ordnungsbehörden aus. Der Betroffene selbst ist auf dem Video nicht bzw. allenfalls in Umrissen von hinten, sondern im Wesentlichen nur sein Fahrzeug abgebildet.

5. Aufzeichnung war anlassbezogen

Die Aufzeichnung gegenständlichen Rotlichtverstoßes habe durch den ersten nicht geahndeten Verstoß auch einen Anlassbezug erhalten.

6. Betroffener hätte auch anders überführt werden können

Schließlich weist das OLG tatsächlich darauf hin, dass der Betroffene auch anders hätte überführt werden können, insbesondere durch eine rechtmäßige, anlassbezogene Messung und Aufzeichnung.

„Der verfahrensgegenständliche Verstoß hätte ohne Weiteres durch eine rechtmäßige, anlassbezogene Messung und Aufzeichnung festgestellt werden können. Sofern eine Polizeistreife mit geeignetem Aufnahmegerät auf das grobe Fehlverhalten des Betroffenen an der ersten Lichtzeichenanlage, das nicht Gegenstand der Verurteilung wurde, aufmerksam geworden wäre, hätte einer anlassbezogenen Nachfahrt und Aufzeichnung des Fahr- und Fehlverhaltens nichts entgegengestanden. Ebenso wäre der Rotlichtverstoß durch eine geeignete stationäre Überwachungsanlage nachweisbar gewesen.“ (sic)

Konsequenzen

Wenn insbesondere der letzte Gedanke konsequent weitergedacht wird, bedeutet dies, dass künftig eine unzulässige verdeckte Videoüberwachung immer dann als Beweismittel zugelassen werden müsste, wenn zufällig gerade keine rechtmäßigen Beweismittel vorhanden sind.

Es ist außerdem bemerkenswert, wie das OLG den Anlassbezug der Aufzeichnung konstruiert.

„Dabei lief die Kameraaufzeichnung, wie sie auch komplett in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurde, bereits seit Fahrtbeginn des Zeugen und anlasslos über seine gesamte Fahrtstrecke weiter. […] Das Amtsgericht hat nur den zweiten Rotlichtverstoß geahndet; diesen hätte der Zeuge auch als Privatperson mittels Videotechnik aufnehmen dürfen, da er durch das vorangegangene erste Fehlverhalten des Betroffenen nicht anlasslos aufgezeichnet hätte.“

Anlass ist hier der Beweggrund für das Anfertigen der Aufzeichnungen, also das Einschalten der Kamera. Dies erfolgte hier – ohne dass die Gründe dafür vom Gericht überhaupt festgestellt wurden – bereits bei Fahrtbeginn. Wie nun aus einer grundlosen Daueraufzeichnung ohne weiteres Zutun des Aufzeichnenden durch ein zufälliges Ereignis ein Anlassbezug hergestellt werden soll, wird durch das Gericht nicht dargestellt.

Auch wenn es durch das OLG bestritten wird, ist es nach dieser Entscheidung nicht fernliegend, dass künftig selbsternannte „Hilfssheriffs“ mit Dashcams für die Sicherheit des Straßenverkehrs sorgen. Irgendein Grund, ihre Aufzeichnungen verwerten zu können, wird sich sicherlich finden lassen. Zumindest wenn ein rechtmäßiges Beweismittel gerade nicht vorhanden ist.


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